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KULTURTODATE

“Ehemals”

Kurzgeschichte von Klaus Oberrauner auf Illustrationen von Lorenz Bögle. Das Motto: Die interaktions Bilder-Geschichte.

“Das Unterfangen startete mit dem Gedanken, nach Entstehen einer Reihe von Zeichnungen während eines Irlandaufenthaltes, diese doch mit einer Geschichte zu bespielen. Ich stellte sie zur Inspiration aus. So geriet ich über einen Freund und dessen Bekannten an Klaus Oberrauner, der sich voller Freude mit diesem wunderbaren Ergebnis dieser Idee annahm. Dieser interdisziplinäre Brückenschlag ist der erfreuliche Anfang für fruchtbare Weitere. Hier, auf diesem Blog, heißt es Art Connected.” [Lorenz Bögle]

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Bild: Lorenz Bögle | Torf, Tinte & Graphit auf Karton – 15 x 13 cm


Ehemals.

Prolog.

Wie sich schleicht die Klage an das kecke Gold, als hätt’ die üble Sage, ins Dunkle heimgewollt.

Sachte um die Hände, die hoffen allemal, schwänzelt sie um die Wände, durchhaucht ganz leis’ den Saal.

Gleich dem Dieb, als Freundin, die Schattenfarb’ sich sucht, spitzt sie gegen den Feind hin, und seine drohend’ Glut.

Sein Haupt ist flink und wendig, sein Atem höllisch warm, die Stimme schön elendig, der Augen schöner Schwarm.

Sie macht die Finger zittern, die um Güte rittern, und bei diesem Ringen, bebend Leeres singen.

Stein um Stein entschwebt sie, des Schlundes Höh’ empor, und Stille ward und Hoffnung, wie Morgenrot zuvor.

* * *

Gnadenlos war die Nacht am Dreizehnten des Novembers 1538. Sie schluckte alles, was gut und böse und jenseits davon war und schickte ihren kalten Unmut darüber durch die alten Gassen. Schwerer Regen umschleierte die Dächer als trachtete er danach ohngemein beschämte Gesichter verbergen zu wollen. Tief unter dem festen Schritt des Hellebardiers, dessen kleines Licht sehr einsam der Unheimlichkeit widerstand, tanzten die Schatten eines wärmenden Feuers an den Wänden eines prachtvollen Gewölbes. Die Fackeln an den Säulen, die in hohen runden Bögen aus nacktem, felsigen Stein auswuchsen, bebten wie lodernde Schwerter des Eosphóros. Dazwischen, wie aus dem Erdreich emporgewachsen, ein marmorner Altar unter den Augen einer entschwebten Pietà. Ihr schickte eine in rotes Tuch gehüllte Gestalt auf demütigen Knien ihr leises Flehen. „Sancta Maria, Mater Dei, ora pro nobis peccatoribus, nunc et in hora mortis nostrae.“ Und sie schaute herunter, die Maria, als hätte sie trotz allem kein Erbarmen. „Hier beweinst du den Leichnam deines Sohnes, doch in meinem Elend bleibe ich für mich allein.“ Ein leises Räuspern vertrieb die Gewissheit, ungehört zu sein. „Ich habe mir schon gedacht, dass ich Euch hier finde, Baroness.“ Baroness – erstaunlich wie aufrichtig dies aus seinem Munde kam. Als wäre alles rechtens. Als machte keine Vergangenheit das Hier und Itzo.

Elendiges Spelunkengeklapper! Der Betagte, der verlautete, Kutscher in Diensten des Pastelgroßhändlers Bernuy gewesen zu sein, goss sich in ihrem Traume derart gierig den Wein hinein, dass dieser ihm am langen verfilzen Barte heruntertropfte.

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Bild: Lorenz Bögle | Torf, Tinte & Graphit auf Karton – 15 x 13 cm


Es war zu jener Stunde, da er sich beinah täglich in den Wust der Ausgelassenheit begab. Alsbald schon hatte sie sein herausforderndes Geschau bemerkt. Als könnte einer, der aus dem Schlaraffenland kam, je ein Gefühl von Hunger haben. Zumindest flog es von leichten Zungen, dass er aus dem ringsum also genannten Süden vor der Stadt käme. „Dette, Dette, nur zu ihm! Er möchte deine Gesellschaft!“ Ein großväterlicher Lüstling, vor dem es ihr ekelte. „Na, geh schon Dirne! Das sieht doch eine blinde Kuh!“ Der Wirt duldete kein Ungehorsam. Seine rotaufgeblasenen Wangen zeugten von ewig herumgetragenem Grimm. Als der Kutscher sie kommen sah, hindurch durch tanzendes, grölendes und gieriges Volk, verfiel er in ein kindliches Lachen, das sein Augenweiß glasig machte. „Kommt, setzt Euch doch, Baroness!“ prustete er darauf los. Leicht lässt man sich veralbern. „Aber mitnichten, mein Kind. Mitnichten.“ Und er drückte seine verbrauchte, ledrige Hand in ihr weiches, weibliches Fleisch. „Ich bin doch kein Grobian.“ Er kicherte verstohlen. Dann erfuhr sie es. Sie soll ihr bis aufs Haar gleichen, der Edelfrau, die in seinem alten Gespann durch die Stadt fuhr, um Bernuy zu besuchen. „Bis auf die Nasenspitze. Wie ein Ei dem anderen. So gleich.“ Eine geheimnisvolle Baroness, von der man nicht viel mehr wusste, als dass sie sich, früh verwitwet, in einem Château irgendwo abwärts der Garonne zurückgezogen hatte, um von dort gönnerhaft zu sein, ihrer Vorliebe für edelblaue Gewänder nachzukommen und zu beten für die ihre und für andere arme Seelen. „Kein schöner’s Bleu gibt’s als hier“ nickte der Kutscher und soff auf das Wohlleben und die Anmut der Baroness an seiner Seite. „Ja, Baroness sagen sie. Baroness. Ich habe es vernommen mit eigenem Ohr.“ Unumschweiflich, sie musste ihn sehen, ihren Zwilling. „Unglaublich!“, rief sie. „Unglaublich sie alter Schwindler.“ Sie kniff ihn in die Nase. „Oh nein, Liebste. Ich glaube, ihr wollt mich verwirren.“ Sie befriedigte ihn mit dem Trost des Betrunkenseins.

Sie faltete die Hände so fest, dass sie ihre Knochen spürte. Schwere Stiefel näherten sich, die den Sand über den Stein schleiften. „Ihr betet zu Teufelszeug!“ „Wie schön, dass Ihr Euch an ihn hält.“ „Nicht umsonst zitierte die Heilige Inqusition diesen provençalischen Seher vor ihr Gericht.“ Allmählich lösten sich ihre Finger von der Kälte des Altars und nach dreimaligem Bekreuzigen erhob sie sich mit Bedacht. „Das bedeutet nichts weiter, als dass sie den Michel de Nostredrame fürchten.“ „Aber natürlich, weil er ein Verrückter ist.“ Nun war es ihr, ihm ins Gesicht zu schauen und seinen Blick einzufrieren: „Weil er Ideen hat!“ „Gespinste sind’s, die alle Reformer treiben!“ „Also habe ich meinen Verstand verloren.“ „Ihr scherzt, Maman.“ Oja, sie scherzte und wie sie scherzte. Wie die trockene, raue Haut des Fuhrwerkers auf der ihren, dass ihr die Gänsehaut über den Rücken kam. Sein hohles Pfrusten in den Ohren.

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Bild: Lorenz Bögle | Torf, Tinte & Graphit auf Karton – 15 x 13 cm


Dieses wunderbare Blau. Es erinnerte sie an die Unendlichkeit wolkenloser Frühlingshimmel. Sie sind wohl auch daraus gemacht, erspürte sie. Auf ihr lächelndes Nicken hin wies ihr selbsternannter ehrerbietigster Diener, der brave Bernuy, an, den Ciel in die Truhe zu packen. Gerne blieb sie zum Essen, auch wenn der vielen Worte nicht ihres war. In der Küche hatte der Hausherr keine Stümper. Magret de Canard und Veilchenlikör – sterben könnte sie dafür. Läge sie nicht im Wiesengrün der Lautenklänge einem frechen und scheuen Wildhasen gegenüber, sie hätte vermeint, es wäre der Herr, der mit ihrer Frömmigkeit spielte. Neugierig schlich er sich wieder heran durch die tarnenden Halme, stellte die Löffel auf und schnupperte treuherzigen Auges. Sie erhob ihren Becher und flugs kehrte er ihr den Rücken mit dem schneeweißen Stummel. Behände trugen ihn seine langen Läufe in das Dickicht fort. Nein, dir komm ich nicht hinterher! Geblieben war der Geschmack unschuldiger, violetter Blumen. Im Morgenrot war es Zeit zu fahren. Ein kurzes Gebet noch vor der Reise, während die Lakaien den Wagen beluden. Im Morgenrot, da la ville rose ihre wahre Schönheit auftat. Irgendwann würde sie nicht mehr alleine ihrer Wege ziehen. Irgendwann nicht mehr. Und irgendwann würde ihre Sprache mehr sein als gottgewandtes Seufzen.

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Bild: Lorenz Bögle | Torf, Tinte & Graphit auf Karton – 15 x 13 cm


Immerzu zur gleichen Zeit. Fürwahr. Beim fernen Frühgeläut stand das edle Gespann. Hinter der Mauer lauerte sie, die Dette. Der Alte hatte rechtbehalten. Ihr Herz bebte unstet. Wie anders wurde ihr, als sie sich hinter dem goldverzierten Gehänge herausschauen sah. Am Bocke war kein Kutscher. „Dort ist sie, Baroness“, schnäkte die Ratte in ihrem Rücken Schadenfreude. „Das andere Ei.“ Die Brut des Unaussprechlichen. Sie nahm ihr die Kraft aus allen Gliedern und schwächte jede Wut. „Wessenthalben er mich nur erwählt hat?“ Alle Gedanken stahl er ihr. Alle guten und alle bösen. Nichts war als die Glocken, das ferne Nicken und das „Allez!, Allez!, Allez!“

„Etwas mehr Benimm, Junge! Treibt kein Spiel. Unverschämten ist das Glück nicht hold.“ „Ich erkenne Euch nicht. Wahrlich, ich erkenne Euch nicht wieder.“ „Ist das so?“ „In Momenten habe ich das Verlangen, Euch zu fragen, wer Ihr seid.“ „Eure Baroness?“ „So verändert seid Ihr mir. So fremd, ich kann gar nicht sagen wie.“ „Sagt es!“ „Es ist wie Scheinheiligkeit.“ „So schickt Euch und lasst mir meinen Frieden!“ Grob war ihre Hand und finster ihre Miene wie die herrschende Nacht.

Ach, wie verleideten ihr Abschiede alles. Im Grunde mochte sie Bernuy, mehr als sie derzeiten zuzugeben gewillt war. Angst machte es ihr, dass er die Gefühle zu ihrem Toten zu übermalen begann wie ein Artiste seine graue Mauer, Strich für Strich. Aus einer von Pflanzen ausgepressten Farbe, die ein bisschen giftig roch. Und sie die Mauer war, die sich dagegen stellte und ständig nachgraute. Über die saftige Wiese lief sie und pflückte die Veilchen. Plötzlich verdunkelte sich die Sonne zu einem patzigen Klumpen Pech. Wer machte ihr Schatten? Furchtsam erstarrte sie im Angesichte ihres Ebenbildes, das mit keilerartiger Wildheit den Spieß auf sie richtete. Kreideerbleicht hob sie die zitternden Blumen gegen die erboste Macht. Wer spielt ihr diesen üblen Streich. Nichts wie Erbarmen! Erbarmen, oh Himmel! Ihr Herz schmerzte, aber nur kurz. Als sie sich wieder fasste, lachte die Sonne wieder und alles war wieder gut. Sie sammelte die Blumen ein und roch daran. Die Veilchen. Dafür könnte sie sterben. Sie roch noch einmal und sie war befriedigt, bis sie von Weitem einen Hasen hoppeln sah.

„Ich hasse Euch“, sagte sie den stummen Wänden. „Oja, ich hasse Euch!“, rief sie den sich entfernten schleifenden Schritten nach. „Ich hasse, Ich hasse, Ich hasse, Ich hasse!“ Sie schlug gegen die Säule bis das Blut aus ihren Händen tropfte. „Ich hasse die Baroness!“ Sie, das größte aller Gespinste. Was hatte sie nur in ihrem ewig verdammten Leben verloren?

Vor ihr saß sie mit weit aufgerissenen Augen und einem schalkhaften Lächeln um die üppig geröteten Lippen. Wie leicht das Messer in sie hineinging. Immer tiefer, immer tiefer und wie es gierig schmatzte. Keinen Laut hatte sie gemacht. Kein Ruf, kein Schrei, kein Schluchzen. Dette ist tot, es lebe die Baroness!

Genug hatte sie vom Glauben. Nichts wie hinauf in die stürmische Nacht. Dort traf sie ein halber, trauriger Blick des Sohnes ehe er auf sein Pferd gestiegen und in die blinde Hölle hinausgeritten. Elendig! Sie hielt sich ihr Tuch über das Haupt gegen den stürmischen Regen. Lautlos und unsichtbar wurde sie und verschwand über eine schmale Treppe in einer abgelegenen Gasse. Ihr Klopfen an das knarzende Holz ward bald gehört. Drinnen nahm ihr ein Heros von einem Mann das triefende Rot von den Haaren. „Ich bin überrascht, Baronesse!“, näselte er. „Ganz in edlem Blau, wie du siehst.“ Der Schmied nahm seine ledrige Schürze ab und warf sie auf die Erde. Seine Augen glänzten.

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Bild: Lorenz Bögle | Torf, Tinte & Graphit auf Karton – 15 x 13 cm


Ein wilder Hase kam auf sie zu. Zunächst scheu und neugierig zugleich. Herrlich groß war er und wie schön anzuschauen. In seinen Kullern spiegelte sich die Sonne. Vorsichtig streckte sie die Hand aus. Im Anfang war ein Schnuppern. Zögerlich kam er in ihren Schoß und sie begannen sich zu liebkosen. Sie spürte sein Herz unter dem warmen Fell. Und dann lagen sie, Seit an Seit in der großen großen Wiese. „Ich liebe dich“, sagte der Hase. „Ich liebe dich auch“, erwiderte sie, als wäre es kein Wunder mit dem Mümmelmann zu parlieren. „Ich hoffe, du läufst mir jetzt nie wieder davon.“ „Nie wieder“, versprach der Hase.

Epilog

Nur wenige Kerzen schwächten die Düsternis unter den hohen Bögen. Mit einem kleinen Lied lässt sich alles vertreiben, so hat sie erfahren. Schnell verhallte es in den unheimlichen Winkeln. Mörder, wo bist du? Dieb, was suchst du? Ihre Hände falteten sich auf der Bank und weiter sang sie eine Melodie, die sie im Schlaraffenland gehört hatte. Eine Melodie des Lebens, so lange bis sie davon aufgeladen war. Da war doch ein Schatten? Zu schnell ist er gewandert, um ihre Sinne zu täuschen. Drückend war die Leere. Schwer war die Stille. Sie horchte ins Nichts. „Baroness, erschreckt nicht. Ihr hier?“ „Bonsoir, Herr Pfarrer.“ „Was sucht Ihr? Womit kann ich dienen zu dieser Stunde?“ „Eine Antwort auf die Frage, wer ich bin.“ Schweigen. „Kein Schweigen, Herr Pfarrer, gibt mir Antwort.“ „Ich fürchte, ich verstehe nicht?“ „Erzählen Sie mir alles.“ Und alles hörte sie sich an. Durch Tränen sah sie alles. Wie sie leblos in dem Weidenkorb lag auf der Treppe zur Spelunke und wie sie das Messer ins Schwesterherz bohrte geliebt von Hass und Angst. Ehemals.

Während die Sonne die Nacht in die Knie zwang und die Stadt in ihr schönstes Rosarot tauchte.

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Bild: Lorenz Bögle | Torf, Tinte & Graphit auf Karton – 15 x 13 cm


[copyright: Klaus Oberauner & Lorenz Bögle, ArtConnected, April 2016]

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